Editorial

Zur Einführung

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Das vorliegende Sonderheft der Zeitschrift für Kulturmanagement beschäftigt sich mit dem deutschen System der Darstellenden Künste, das sich mit einer tiefgreifenden Transformation konfrontiert sieht. Neben den sich verändernden ökonomischen und kulturpolitischen Rahmenbedingungen entwickelt sich seit Mitte des Jahrzehnts eine verstärkte Debatte um die Zukunft des deutschen Theaters und seine Arbeitsbedingungen, wofür die Gründung des ensemble-netzwerkes, einer freien Vereinigung Darstellender Künstler mit dem Ziel der Verbesserung von Arbeits- und Vertragsverhältnissen, ein besonders deutliches Beispiel ist. Seitdem reißt die Diskussion um neue Strukturen, Organisationsprinzipien und Leitungssysteme in den Insitutionen nicht ab. So eröffnet das ensemble-netzwerk jedes Jahr ein bundesweites Podium, die Bundesweite Ensemble-Versammlung, an der Hunderte Künstler und Künstlerinnen teilnehmen, und jenseit der hierarchischen Strukturen der Häuser über die Weiterentwicklung der Theaterlandschaft zu diskutieren – eine bislang nie dagewesene Initiative und Bewegung, die bei weitem die temporären Versuche der Demokratisierung der Theater in den 1970er Jahren sowohl qualitativ als auch quantitativ übertrifft.

Neu ist die Qualität der Auseinandersetzung, die systematische Aufarbeitung von Defiziten im System, Neu ist auch die strukturelle Dimension der Krise und ihre Auswirkungen. Und neu ist insbesondere auch die Breite und Intensität dieser Reformbewegung, die inzwischen in allen deutschen Theater-Ensembles und in denen Österreichs und der deutschsprachigen Schweiz angekommen ist. Dabei zeigen auch die Ausläufer der #MeeToo-Debatte ihre Wirkung. Erstmals wird im struktur- konservativen Bühnenverein darüber diskutiert, Kandidatinnen auf freie Intendantenstellen zu berufen, um die derzeige Quote von 75% Männern und 25% Frauen auszugleichen und die immer noch bestehende Männerdomäne auf Leitungspositionen und Regiestellen auszudünnen.

Aber die Reformdebatte ist umfassender, sie geht weit über eine gendergerechte Ausbalancierung von Leitungsstellen hinaus. Insbesondere das Intendanten-zentrierte Theater-Modell, das leicht zu Machtmissbrauch und Übergriffen führen kann, steht zunehmend unter Rechtfertigungsdruck. Seit 2018 wird das Thema Macht in den Institutionen der Darstellenden Kunst intensiv diskutiert, es kam zu Entlassungen von Intendanten und/oder zur öffentlichen, auch juristischen Auseinandersetzung um Übergriffe gegenüber Frauen, Schutzbefohlenen, Mitarbeiterinnen, aber auch hinsichtlich Nepotismus, der Begünstigung von Verwandten und Freunden z. B. durch höhere Gagen, bessere Vertragskonditionen oder nicht berechtigte Förderung innerhalb des Theaters, bis hin zum Aufstieg einer Assistentin – als Geliebte – auf eine leitende Position in der Administration oder im Ensemble.

Kern dieser Debatte und ihr Ziel ist der Erhalt des Theatersystems, das in seiner Dichte und mit 40.000 fest angestellten Mitarbeitern die bedeutendste Theaterlandschaft der Welt darstellt. Von ihr gehen wichtige künstlerische Impulse im Schauspiel, im Tanz und in der Oper, aber auch in der Orchestermusik aus, zumal viele der renommierten deutschen Orchester an Opern- oder Mehrspartenhäusern angegliedert sind oder eng mit diesen kooperieren (Staatskapelle Dresden und Staatskapelle Berlin, Gewandhausorchster Leipzig, Münchner Symphoniker u.a.m.). Die Basis für die hohe Qualität sind zugleich die Kernprinzipien der deutschen Theaterbetriebe: ein vergleichsweise kostspieliges, dennoch wichtiges Ensemble- und Repertoire-Prinzip. Neben der Stagnation der Zuschauerzahlen bzw. einem gravierend sich verändernden Publikumsverhalten (u. a. Rückgang der Abonnements), einer damit kaum noch zu vertretenen Arbeitsbelastung der Akteure durch Angebotsausweitung bei starkem Rückgang der Festangestellten im künstlerischen Bereich zugunsten freiberuflich Angestellter werden die Institutionen zusätzlich seitens der Kulturpolitik mit neuen funktionalen Anforderungen, z. B. in pädagogischer Hinsicht, konfrontiert. Die ursprünglichen Prinzipien von Theaterarbeit scheinen unter Druck zu geraten, so dass sich die gesamte Landschaft der Darstellenden Künste und mit ihr die Kulturpolitik vor völlig neue Herausforderungen gestellt sieht.

Vor diesem Hintergrund beschäftigen sich die Beiträge des Sonderhefts Theater – Politik – Management mit unterschiedlichen Dimensionen einer sich abzeichnenden Transformation. Der Blick wird unter anderem aus einer historischen Perspektive auf das deutsche Theaterpublikum seit der Frühen Neuzeit und dessen Veränderungen, aber auch die damit verbundenen, häufig imperativischen Erwartungen gelenkt. Thematisiert wird das Modell charismatischer Herrschaft in den deutschen Stadt- und Staatstheatern und die institutionell bedingten Schwächen des Intendantenmodells, die sich insbesonders als Krise der Nachfolge dokumentieren. Analysiert werden die bisher kaum behandelten Unterschiede zwischen den Publika des privaten und des öffentlichen Theaters. Gerade die privaten Insititutionen, die einen historisch und materiell bedingten anderen Status im insgesamt sehr privilegierten deutschen Theatersystem besitzen, werden auch in der Forschung häufig übersehen. Dabei sind Kenntnisse über soziale Merkmale, Interessenprofile und Formen kultureller Partizipationin den privaten Theatern für das System insgesamt von Interesse.

Behandelt wird ferner die höchst aktuelle Frage der Machtdispositive, deren langjährige fraglose Akzeptenz aktuell die Debatte um Krise und Transformation des deutschen Theatersystems verstärkt. Neben strukturellen Ursachen, die den Missbrauch von Macht befördern, scheinen offenbar ethische Leitbilder und Verhaltenskodizes zu fehlen, um den Gebrauch von Macht zu regulieren. Ein weiteres Thema, innerhalb konfligierender organisationaler Felder, sind Führungskommunikation und Leadership im Theater, wobei insbesondere die Kommunikationsperspektive in den Blick gelangt, ohne aber verwandte Instrumente des Managements außer Acht zu lassen. Ein weiterer Beitrag setzt sich, ausgehend von praktischen Erfahrungen und Reflexionen, mit dem Machtgefüge in Theatern und den dort dominierenden Herrschaftsverhältnissen auseinander, die sich sowohl von außen (Aufsichtsgremien), wie auch von innen konstituieren. Schließlich wird die Herausforderung des von der Europäischen Union längst förderpolitisch propagierten, inklusiven Theaters thematisiert, zu der auch eine verstärkte Reflektion von Empowerment-Prozessen bei den beteiligten Akteuren gehört.

Den Herausgebern ist bewusst, dass mit diesem Sonderheft nur einzelne Aspekte der fundamentalen Herausforderungen behandelt werden, vor denen das System der Darstellenden Künste insgesamt steht. Wir hoffen aber mit den hier entwickelten Überlegungen, Impulse in kulturpolitischer und -managerialer Hinsicht setzen und die Debatte um die ‚Zukunft des Theaters‘ bereichern zu können.

Die Herausgeber