Editorial

Auf der Suche nach ‚Cultural Leadership‘
Editorial zum Themenschwerpunkt

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Die Bedeutung von ‚Cultural Leadership‘, Schwerpunktthema des aktuellen Heftes der Zeitschrift für Kulturmanagement, ergibt sich vor allem aus den internationalen Diskursen um Kulturmanagement, Kulturpolitik, Kulturwissenschaften und Kultursoziologie, in denen sich seit einigen Jahren eine wachsende Bedeutung dieses Begriffspaars beobachten lässt, die auch ihren Niederschlag in den Curricula von einschlägigen Studiengängen und Weiterbildungsprogrammen fand.

Ein Grund für die bemerkenswerte Begriffskarriere war und ist dabei sicherlich auch, dass er in der Regel einen eher undefinierten Gebrauch findet und damit für sehr unterschiedliche Verwendungsweisen offen ist. Ausgehend von dieser Vielfalt wurden zwei Schwerpunkte gesetzt, um die beiden unterschiedlichen und häufig anzutreffenden Lesarten des Konzepts Cultural Leadership zu differenzieren: Cultural Leadership kann dann erstens als (meist kaum weiter definierte) Bezeichnung für Führung von bzw. in Kulturorganisationen verstanden werden, zweitens jedoch auch als Begriff, der im Sinne des Wertekanons zum Beispiel der UN-Menschenrechts-Charta oder der Sustainable Development Goals auf eine kulturelle Führungsrolle von Personen oder Organisationen für die Gesellschaft oder gar den internationalen Dialog verweist – etwa im Kontext von ‚cultural diplomacy‘.

Cultural Leadership in Organisationen und Projekten

Auch wenn sich der einstige Fokus auf Hochkultur in der Kulturmanagement-Forschung und -Lehre längst relativiert hat, stehen häufig nach wie vor Großbetriebe – Museen, Theater, Orchester oder Festivals und Akteure der Kreativwirtschaft wie die internationalen Player der Musik- und Filmindustrie – im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des Fachs. Dabei sind in der Kulturmanagementpraxis bspw. im Kontext der Kreativwirtschaft Freiberufler sowie Führungskräfte und Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in kleineren Kultureinrichtungen in der Mehrheit. Daher wird in diesem Heft ein weiter Blick auf das Kulturmanagement in seiner ganzen Breite über alle künstlerischen und institutionellen Formen von großen Organisationen bis zu informellen Initiativen, Projekten und Netzwerkstrukturen mit insbesondere vergleichenden Ansätzen intendiert: Während in der allgemeinen Führungsforschung längst Konzepte wie ‚distributed leadership‘, ‚post-heroische Führung‘ ‚Postbürokratie‘ oder auch ‚demokratische Organisation‘ diskutiert werden, scheint in den großen Kulturinstitutionen besonders im deutschsprachigen Raum auch heute noch vielfach ein höchst traditionelles Verständnis von Führung vorzuherrschen, das streng hierarchisch (und heroisch) auf die Figur der Intendanz bzw. der künstlerischen Leitung ausgerichtet ist. Gerade mit Blick auf die Innovationskraft einer Organisation lässt sich diese Situation kritisch hinterfragen: Wo die Basis für Innovation verstärkt in ko-kreativen Prozessen gesehen wird, stehen starre, hierarchische Führungsmodelle womöglich grundlegenden Innovationen im Wege. Die Rufe nach mehr Innovationen in den Kulturorganisationen, die von Kulturpolitik, von Protagonisten des Kulturmanagements selbst und auch von Teilen des Publikums seit Jahren erhoben werden, stehen somit im Widerspruch zu häufig fundamental konservativen Organisations- und Führungskulturen in großen Kulturbetrieben. Dem gegenüber steht der Blick auf alternativen Kulturszenen, privatrechtlich-gemeinnützige Institutionen, informelle Initiativen oder auch Startups der Kreativwirtschaft, die als Avantgarde für künstlerische und gesellschaftliche Innovationen stehen könnten, und Impulse auch für eine neue Führungs- bzw. Arbeitskultur und mehr Mut zur Innovation in traditionellen Kulturbetrieben setzen könnten.

Was also kann die Führungsforschung zum Thema Führung in Kulturorganisationen (aller Couleur und Größe) beitragen? Welche Modelle scheinen für die unterschiedlichen Organisationstypen angemessen? Wie lassen sich ggf. sinnvolle Veränderungen angesichts der über Jahrzehnte gewachsenen traditionellen Strukturen in Organisationen realisieren? Wie – wenn überhaupt – lässt sich Cultural Leadership lehren und lernen? Welche Beispiele aus der Praxis können für Forschung, Lehre und Praxis instruktiv sein? Dies sind beispielhafte – aber keineswegs abschließende – Fragen, die für eine Auseinandersetzung mit dem Thema Führung zu berücksichtigen sind.

Cultural Leadership für Gesellschaften und internationale Kooperationen

In der zweiten Lesart verweist das Konzept Cultural Leadership auf das Ziel, Personen, Organisationen oder Netzwerke in die Lage zu versetzen, eine im weiten Sinne kulturgestaltende Führungsrolle für die Gesellschaft oder auch die internationale politische und gesellschaftliche Zusammenarbeit einzunehmen. Ein solches Verständnis findet sich u.a. im britischen Diskurs um Cultural Leadership für den ‚cultural sector‘ oder auch in Projekten auf EU-Ebene im Rahmen der cultural diplomacy.

Auch in diesem Kontext stellt sich zunächst die Frage nach angemessenen Lesarten von ‚Leadership‘: Unter welchen Voraussetzungen können Personen, Organisationen oder Netzwerke eine solche Führungsrolle übernehmen und wie ist dann Führung zu verstehen, wo doch gerade in der internationalen Zusammenarbeit Führungsanspruch und Überlegenheits-Gesten westlicher Staaten längst diskreditiert sind? Was kann angesichts der zahlreichen gesellschaftlichen und kulturellen Herausforderungen auf lokaler, regionaler, internationaler und globaler Ebene der Beitrag des Kulturmanagements zu deren Bewältigung sein? Inwiefern kann das Konzept von Cultural Leadership hier hilfreich oder hinderlich sein, um Impulse für Innovationen in Forschung, Lehre und Praxis zu setzen? Welchen Grad an werteorientierter Normativität kann oder womöglich auch: sollte interdisziplinäre kulturwissenschaftliche Forschung und Lehre hier haben? Wie kann Forschung diese Fragestellungen beantworten helfen? Welche Rolle sollte der Begriff Cultural Leadership in diesem Zusammenhang in der Lehre spielen? Welche Beispiele gibt es aus der Praxis des Kulturmanagements und der Kulturpolitik – und welche Erwartungen haben diese wiederum an Kulturmanagement- Forschung und -Lehre? Auch dies sind lediglich exemplarische und nicht umfassend gemeinte Fragen, die für das Thema Relevanz besitzen.